Renata Šikoronja anlässlich der Eröffnung der Ausstellung im Bauholding Kunstforum am 9. 11. 2000
Claus Prokop – ein Künstler zwischen Landschaften
Ich freue mich sehr, heute Abend einige Worte zur Arbeit des Künstlers Claus Prokop sprechen zu dürfen. Ausführungen, die etwas Beschreibbar machen sollen, was nicht immer leicht in ein sprachliches System zu bringen ist. Denn es ist letztlich heute wahrscheinlich nicht mehr möglich, Kunst an einer passenden und repräsentativen Formulierung festzumachen oder zu erklären, da wir gewisse Ideologien und Philosophien haben, unter denen wir die Kunst wahrnehmen. Alles kann Kunst sein.
Die Arbeiten von Claus Prokop gehören nicht zu jener Sparte Kunst, deren Rezeption durch einen theoretischen Unterbau erfahrbar gemacht wird. Sie bedürfen vordergründig nicht vieler Erklärungen, ganz im Gegenteil, sie sprechen für sich selbst. Und sie sprechen viele verschiedene bildkünstlerische Sprachen, wie beispielsweise die Sprache der Natur, die Sprache der Farbe, die Sprache der Form, die Sprache der inneren Harmonie, die Sprache von Chaos und Ordnung. Die Bilder unterliegen keinem Kalkül, sondern sind ausgerichtet auf den Prinzipien der Suche nach inneren Ordnungen. Und gerade deshalb sehe ich es als herausfordernden und legitimen Ansatz an, anhand dieser sprechenden Bilder nach meiner eigenen Sprache und Ordnung zu suchen und ich bitte Sie nun, mich auf meinem Weg des inneren Monologs zu begleiten.
Im beginnenden 21. Jahrhundert muss der Pluralismus künstlerischer Prozesse und Produkte jeden kunstinteressierten Menschen überwältigen und vereinnahmen. Vielfalt ist angesagt. Museen, Ausstellungshäuser, Galerien und Kunstinstitutionen changieren in ihrem Programm zwischen Kunst mit konzeptuellem Anspruch, Installationsarbeiten mit raumspezifischen Prämissen, Kunst am Bau, Kunst im öffentlichen Raum, Fotografie in allen Facetten, Videokunst mit sozialem, kulturellem, ästhetischem oder geschlechtsspezifischem Hintergrund, Malerei abstrakt oder realistisch, und vieles andere mehr. Wir alle haben die Qual der Wahl, wir alle sind aufgefordert, aus einem vielseitigen Fundus zu wählen und nach dem zu suchen, was unseren künstlerischen Wertvorstellungen entspricht und – letztlich – unser Spektrum erweitert. Pauschalierungen über die Gegenwartskunst indes haben längst schon ausgedient. Und dass die Malerei nicht tot ist, sondern ganz im Gegenteil, sich immer noch stetig auf der Suche und der Auslotung nach dem Überschreiten neuer Grenzen und Möglichkeiten befindet, davon können Sie sich heute Abend ein Bild machen.
Ich beginne dort, wo Claus Prokop auch seinen formalen Anfang setzt, nämlich beim einzelnen Kreis oder Punkt. Kreis neben Kreis gesetzt, ergeben die Einzelsegmente ein Ganzes, das sich zu verschiedenartigen Formationen zusammenfügt und geben so ihre Einzigartigkeit zu Gunsten des Gesamtkomplexes auf. Augenscheinlich wird der von Prokop angewandte Weg, wenn Sie zum Beispiel an Plakate denken, die im Rasterdruckverfahren produziert sind. Physische Nähe beim Betrachten von Plakaten lässt es zu, in den Mikrokosmos der Darstellung einzudringen und die Partikel im Einzelnen wahrzunehmen. Dann besteht jedes Bild tatsächlich nur mehr aus Punkten. Und deren Größe, die Anordnung und die Farbgebung bestimmen die Gesamtwirkung der Darstellung, sprich, sie determinieren den Makrokosmos des Bildes. Der Rasterpunkt ist das vom menschlichen Auge kleinste erfassbare Element von in Rasterverfahren hergestellten Artefakten. Er ist ein kalkulierter und berechneter Punkt. Ein Beispiel für die exakte Anordnung solcher Raster und Punkte in der bildenden Kunst liefern die geometrischen Abstraktionen von Victor Vasarely.
Prokop selbst arbeitet mit kleinen, leicht erfassbaren Kreissegmenten. Auch er schafft Makrokosmen, deren innere Strukturen dem Rezipienten gut nachvollziehbar sind. Aber mit einem gravierenden Unterschied: Er bleibt unbeeinflusst von Mathematik und Geometrie oder Computern. Er will den subjektiven Einfluss des Künstlers so maximal wie möglich halten und entscheidet sich bewusst für die Willkür seiner künstlerischen Persönlichkeit. Das meine ich auch, wenn ich sage, die Bilder unterliegen keinerlei Kalkül und sind Ausdruck der Suche nach inneren Ordnungen. Claus Prokop arbeitet mit der organischen Form des unregelmäßigen Kreises. Er paart seine Abstraktionsprämissen bewusst mit dem Faktor Zufall und schaltet nicht mittels genauer Berechnungen diesen Faktor von vorneherein aus. Das heisst für den Künstler auch, dass sich die Komposition der Bilder nicht aufgrund von Skizzen oder Vorstudien ergibt, sondern sich jedes Bild in einem weiteren fortführt und so die Grundlage für neue Bildwelten schafft.
Wir alle sind mittlerweile vom Computerzeitalter absorbiert worden, und diese Maschinen dominieren unser aller beruflichen Alltag, manchmal sogar darüber hinaus. Unvorstellbar, ohne Computer die Arbeit zu verrichten, umso schöner und bereichernder aber, auf Werke zu stoßen, die uns für den Augenblick der Betrachtung davon zu befreien vermögen. Ein Fingerzeig auf den Ursprung des Menschen, der immer noch – und mögen wir hoffen, dass es noch lange so bleibt – ein natürlicher ist.
Kehren wir aber zurück zu den hier gezeigten Bilder und zu ihrer so bezeichneten "Natürlichkeit". Der Kreis steht nicht einfach so neben dem Kreis, sondern die künstlerische Willkür geht einher mit einer Suche nach einem stringenten Ordnungssystem, das Prokop als Produkt eines künstlerischen Prozesses definiert. Denn ihre endgültige Form und Position erfahren die Kreise und Punkte erst durch die Gestaltung des Mikrokosmos – oft gesetzte künstlerische Eingriffe wie das Übermalen und Schicht für Schicht Übereinander-Setzen oder das Korrigieren der Positionen der einzelnen Elemente.
Aber auch als Makrokosmos birgen diese Arbeiten Assoziationen mit dem Natürlichen. Denn sieht man sich die Arbeiten aus einiger Entfernung an, scheint es, als könnten Landschaften darin erkannt werden.
Claus Prokop zeigte vor drei Jahren in Wien und Klagenfurt eine Ausstellung unter dem Titel "Blöde Frage: Sind Sie Landschaftsmaler?". Der Ausstellungstitel stammt aus einem Interview, das Gunther Damisch mit Prokop geführt und das Damisch mit ebendieser Frage eingeleitet hat. Damisch: "Meine erste blöde Frage: sind Sie Landschaftsmaler?" Worauf Prokop entgegnete: "Ja, es sind eindeutig Landschaftsbilder, wobei es mir nicht um konkrete Abbildungen geht, sondern darum, Erinnerungen an gewisse Situationen in der Natur und damit verbundene Gefühle bildnerisch auszudrücken." Nun ist inzwischen einige Zeit verstrichen. Währenddessen hat sich Prokop von organischen und amorphen Strukturen, die sowohl von ihrer Farbgebung als auch von ihren formalen Komponenten einen Landschaftscharakter erzeugt haben, hin zu einer, sagen wir, "Systematisierung in der Abstraktion" entwickelt. Und damit hat er seine Bilder von der Wahrnehmbarkeit in die Sphäre der Erahnbarkeit gerückt.
Eigentlich merkwürdig, denke ich mir, denn warum evoziert eine Aneinanderreihung von
unregelmäßigen Kreisen, die in eine annähernde Ordnung gebracht sind, bei mir Assoziation mit Landschaften? Es sind kalte, warme, tiefe und verborgene Landschaften, die zwar mit einem "gepunktelten" Schleier versehen sind, aber dennoch eine solche Ahnung wach werden lassen. Es sind Landschaften, die den Kosmos oder die Erde erkennen lassen. Zuerst glaubte ich, es liegt vor allem an der Farbwahl, an der Kombination der dunklen rhythmisierenden Wiederholungen mit dem weicher erscheinenden Hintergrund. Je mehr ich mich aber von den Bildern räumlich entfernt habe, umso klarer wurde mir, dass die Landschaften entstehen, weil das Auge des Betrachters das Ordnungssystem der Bilder aufgreift, um es in seine eigene, subjektive Ordnung zu bringen. Und meine anfängliche Irritation besteht vermutlich darin, dass die stete Wiederholung der Kreisform eigentlich eine geometrische Abstraktion voraussetzen würde – eine geometrische Abstraktion, die im Sinne von Klarheit und Emanzipation von aller Zufälligkeit gelesen werden kann.
Letzten Monat hat Prokop in Wien, wo er auch lebt, an einer Ausstellung teilgenommen, in der er die Auslagenfenster verschiedener Geschäfte künstlerisch verfremdet hat. Auf die Auslagenfenster waren transparente Abziehfolien geklebt, die in zwei Graustufen siebbedruckt waren. Daraus waren Kreisflächen gestanzt. Man muss sich das wie einen opaken, durchlöcherten Schleier vorstellen. Der Passant/die Passatin konnte die Produkte, die in den Auslagen zu sehen waren nur durch die opake Fläche und die darin ausgesparten Bereiche erahnen und bekam ein temporäres Bild zu sehen, das so nur für diesen Augenblick existierte. Der mit Punkten versehene Schleier dient auch hier als Link zwischen dem Wahrnehmbaren, dem Erahnbaren und dem Verborgenen. Man könnte sagen, der Künstler gibt den Blick frei, indem er ihn vordergründig versperrt.
Auch in dieser Ausstellung gibt es vergleichbare Arbeiten zu sehen, Arbeiten auf Transparentpapier, die den Beginn einer neuen Werkreihe setzen. Ausgelegt sind sie an
demselben Prinzip der Anordnung von Kreissegmenten, nur ist der Entstehungsprozess ein anderer. Prokop verwendet hier die gemalten Bilder als Vorlage, legt diese in den Schwarz-Weiss-Kopierer und lässt so Bilder auf Transparentpapier entstehen, deren Farbinformation sich auf Grauwerte beschränkt. Die einzelnen transparenten Blätter werden dann zusammengefügt, collagiert und mehrfach übermalt. Auch hier ergänzt und verstärkt sich das Wechselspiel zwischen Mikro- und Makrokosmos, Natur und menschlichem Willen.
Zum Abschluss möchte ich noch ein Zitat von Wassily Kandinsky bringen, der in seinem Buch "Über das Geistige in der Kunst" sagt: "Unsere Harmonie ruht hauptsächlich auf dem Prinzip des Gegensatzes, dieses zu allen Zeiten größten Prinzips in der Kunst".
Ich meine, dass es eine eigene Qualität der Arbeit Prokops ist, mit Spannung und Gegensätzen zu operieren und damit Harmonie und Ausgewogenheit zu erzeugen.
Alles Gute, Claus, auch weiterhin.
Renata Šikoronja